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[Nationales Fernsehen] REPUBLIKA PROFITIA
#1

Nahaufnahme bei Nacht ein kaputtes Stofftier liegt im Schmutz. Kinderfüße laufen daran vorbei. Gelächter und Stimmen hallen.


Kamera zieht langsam zurück: verwahrloste Häuser, Müll, Neonwerbung flackert. Ein Kind hebt das kaputte Stofftier hoch, schaut es stumm an. Musik beginnt zu spielen: leises, melancholisches Streicher-Thema.
 
Die Kamera fliegt rückwärts durch die Straßen, weg vom Kind, hinein in die pulsierende Stadt. Überblendungen von Neonlichtern, Werbeslogans, grellen Hologrammen: „Kauf dein Glück!“, „HelioCore – Sicherheit garantiert!“. 


Die Kamera steigt immer höher.

Der Titel der Serie erscheint:

REPUBLIKA PROFITIA
(Fette serifenlose Lettern, kalt-weiß auf schwarzem Hintergrund, dahinter die Skyline der Hochhäuser.)  


Schwenk auf eine gläserne Wände, große LED-Screens mit Quartalszahlen die Graphen kennen nur eine Richtung.

Investoren applaudieren, Champagnerkorken knallen. Geschäftsführer VOLT hebt sein Glas. 

VOLT
"Auf Wachstum und auf die, die es möglich machen!" 

Gelächter.


Die Kamera beginnt rückwärts aus dem Raum hinauszufahren, durch die Fenster, zurück in die Stadt.  


Zurück in derselben Gasse wie im ersten Bild. Doch diesmal: ein heiles Stofftier liegt sauber in den Händen des Kindes. Die Kamera fährt langsam näher. Das Kind lächelt, dann blendet das Bild abrupt hart ins Schwarz.  

„Episode 1 – Wenn der Tisch wankt“
(Untertitel: Gewinne privatisieren, Risiken sozialisieren)
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#2

Die Kamera fand sich in einem Labor wieder. Mira war noch nicht lange bei HelioCore. Für sie war der Arbeitsplatz im gläsernen Hochhaus der Traum einer ganzen Generation: sicher, sauber, angesehen. Sie war klein und schmal, mit wachem Blick, der oft länger auf einem Detail ruhte, als es ihren Vorgesetzten lieb war.

An diesem Abend beugte sie sich über die Prüfmaschine. Das Display flackerte, die Werte sprangen. Ein Bauteil vibrierte bedenklich. Mira runzelte die Stirn. Sie ließ das Protokoll anzeigen und erstarrte. Das Bauteil war mit einem grünen Stempel markiert, Freigegeben, obwohl es ganz klar durchgefallen war. „Prüfung manuell überschreiben“, stand im Computer, aber keine Initialen, keine Verantwortlichen.

Ein leises Gefühl breitete sich in ihr aus: das war kein Versehen.

Das war Absicht.
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#3

Im obersten Stockwerk herrschte eine ganz andere Welt. Der Boardroom war ein Aquarium aus Glas, Glaswände, spiegelnde Böden, die Stadt glitzerte darunter wie ein Meer aus Lichtern. Direktor Volt thronte am Kopfende des langen Tisches. Ein weißer Mann mit silbernen Haaren, immer lächelnd, aber nie warm. Sein Anzug saß makellos, sein Blick wanderte rastlos von einer Zahl zur nächsten. Investoren, Berater - sie saßen wie auf einem Festbankett der Zahlen. Volt stand auf, seine Stimme poliert wie das Silberbesteck.

„Wir haben die Produktionskosten optimiert“, erklärte er. Die Investoren nickten, einer klopfte auf die Tischplatte. Auf dem Tisch neben ihm standen Karaffen, kleine Kristallflöten, und als er „Auf Wachstum“ sagte, bewegten sich Hunderte von Gläsern synchron. Der Champagner perlte in goldenen Kaskaden, zwei-, dreimal gekühlt, die Etiketten versprachen Herkunft und Klasse.

Das Geräusch des Anstoßens war fast zärtlich. Für einen Moment schien alles menschlich: Glas gegen Glas, ein leichter Schaum an den Lippen. Dann aber verrutschte das Lächeln; Volt sprach von „Risiko als steuerbare Größe“, von „Versicherungsparametern“ - Worte, die den Prickel des Champagners in eine trockene Rechnung verwandelten.

Ilya, der neben Mira saß, bewegte sein Glas kaum, seine Finger umschlossen es wie etwas, das die Hand erwärmen musste, nicht um zu feiern, sondern um sich zu beruhigen. Er lächelte nicht. Mira hörte kaum zu, sie war jünger als Ilya. Sie sah Ilya ... nervös ... mit den Fingern spielte. Sie spürte, dass er etwas verschwieg.

Der Korken einer neuen Flasche knallt in eine Überblende der Szene hinein.
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#4

Metall schwang, Holz splitterte, der Rauch von verbranntem Öl und gebrochenem Eisen stieg auf. Bildrücklauf, alles wieder auf Anfang.

Ein Kind mit seiner Schwester an der Hand. Das Stofftier im anderen Arm, sauber und unversehrt wie im Opening versprochen, dann ein Schrei, Menschen stürzten, bahnten sich chaotisch ihren Weg, weg - nur weg. Das Kind zog an der Hand, welche es gerade noch gehalten hatte und taumelte dann zurück. Das Tier verändert, Staub und Blut klebten an ihm.

Die Reporterin, die zuerst eintraf, tastete nach Sätzen, die die Stadt hören durfte: „Ein unglücklicher Einzelfall…“ Ihre Stimme war geübt, aber ihre Augen suchten die Kamera, weil sie Angst hatte, dass der Satz nicht reichte. Für einen Augenblick blitzte das Typenschild mit Seriennummer im Bildausschnitt auf.

Mira saß vor dem Fernseher mit den Nachrichten und sah was sie sehen musste; Charge 47! Mira nahm all dies auf und bewegte das Gesehene in ihrem Herzen, dabei spürte sie eine Übelkeit aufsteigen, nicht von Champagner, sondern vom Geschmack der Erkenntnis.
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